2021 Aushöhlung des Versammlungsrechts stoppen

Krefeld, den 5.5.2021

Gemeinsam mit vielen anderen Organisationen kritisiert unser Bündnis den Entwurf für ein Versammlungsgesetz in NRW scharf. Der Entwurf stellt sich in offenen Konflikt zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des besonderen Schutzes der Versammlungsfreiheit. Er ist durchdrungen von einem obrigkeitsstaatlichen Denken, für das Versammlungen lediglich Bedrohungen darstellen. Statt die Versammlung als Institution zu schützen, dient der Entwurf im Wesentlichen dazu, den Behörden Ermächtigungsgrundlagen für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit an die Hand zu geben.

Dazu veröffentlichen wir hier die gemeinsame Pressemitteilung des Republikanischen Anwält*innenvereins (RAV), des Grundrechtekomitees und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ).


Erklärung des RAV, der VDJ und des Grundrechtekomitees zum Gesetzentwurf für ein Versammlungsgesetz für NRW
Aushöhlung des Versammlungsrechts stoppen – Versammlungsfreiheit stärken, nicht beschränken!
Gemeinsame Presserklärung vom 5. Mai 2021

Der RAV, die VDJ und das Komitee für Grundrechte und Demokratie lehnen den von CDU und FDP vorgelegten Entwurf für ein Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als undemokratisch ab. Der Entwurf verfehlt den zentralen Kern eines Versammlungsgesetzes: den Schutz der Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Entwurf ist vordemokratisch und atmet den Geist eines autoritären Staats.

Die Versammlungsfreiheit ist – als kollektive Meinungsfreiheit – eines der wichtigsten politischen Grundrechte, das für den politischen Meinungskampf, die gesellschaftliche Teilhabe und die Sicherstellung von demokratischen Grundsätzen von zentraler Bedeutung ist. Tritt das Versammlungsgesetz für NRW wie vorgeschlagen in Kraft, würden die zentralen verfassungsrechtlichen Grundsätze der Versammlungsfreiheit, wie sie seit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1985 bestehen, unterlaufen. Dazu gehören die Autonomie in der Ausgestaltung der Versammlung, die Staatsfreiheit, der freie Zugang zur Versammlung und die Abwesenheit von Observation und Registrierung.

Der Entwurf der Landesregierung ist durch ein tiefes Misstrauen gegen Bürger:innen geprägt, die vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen. Versammlungen werden alleinig als polizeilich zu behandelndes Problem – als Gefahr, der man begegnen muss – verstanden. Entsprechend sieht der Entwurf weitreichende Regulierungs- und Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei vor: Die Anwendbarkeit von Polizeirecht in Versammlungen, die Errichtung von Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung, das Verbot der Teilnahme mithilfe von Meldeauflagen, Videoüberwachung und -aufzeichnung, Gefährderansprachen und weitere Maßnahmen.

Zusätzlich werden Möglichkeiten der Kriminalisierung von Teilnehmenden und Veranstalter:innen stark ausgeweitet. Es werden neue Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten geschaffen, sowie Strafmaße erhöht. Der Versammlungsleitung werden umfangreiche Pflichten auferlegt, die Anmeldung von Versammlungen wird erschwert. Dass es der Landesregierung im Braunkohleland NRW insbesondere darum geht, konzernkritische Klimaproteste gegen RWE abzuschwächen, belegt die Gesetzesbegründung. Auch antifaschistische Proteste werden massiv erschwert, das Recht auf Gegendemonstrationen beschnitten.


Rechtsanwältin Anna Busl, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV, erklärt hierzu: „Die Ausübung der Versammlungsfreiheit, vom Bundesverfassungsgericht bezeichnet als ‚ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren‘, wird durch diesen Gesetzentwurf zur ‚Gefahr‘ erklärt, der polizeilich Einhalt geboten werden muss. Durch die Aufhebung der sog. Polizeifestigkeit von Versammlungen kann gegen jeden Teilnehmer als ‚Störer‘ polizeilich vorgegangen werden.“

Michèle Winkler, Referentin des Komitees für Grundrechte und Demokratie ergänzt: „Dieses obrigkeitsstaatliche Verständnis der Versammlungsfreiheit ist einer Demokratie unwürdig. Die Landesregierung führt einen gezielten Bruch mit dem Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts herbei. Der Versammlungsfreiheit wird ihr demokratischer Kern entzogen: Wenn Demonstrationen komplett polizeilich eingehegt und überwacht sind, werden sie jeglicher Wirkung beraubt.“

Rechtsanwältin Ursula Mende, Bundesvorstandsmitglied der VDJ unterstreicht: „Es ist offensichtlich, dass die Landesregierung die Kritik an ihrer desaströsen Klima- und Energiepolitik mithilfe des Versammlungsgesetzes zum Verstummen bringen will. Geradezu obsessiv wird auf die Klimabewegung verwiesen, um Verschärfungen zu begründen. Dies steht in starkem Kontrast zum Bundesverfassungsgericht, das gerade erst in einer historischen Entscheidung ein Klimaschutzgebot postuliert hat. Die Landesregierung täte gut daran, ihre politische Verantwortung wahrzunehmen, statt Protest gegen ihre desaströse Klimapolitik zu erschweren.“


Im beigefügten Dokument findet sich zusätzlich zur Erklärung eine inhaltliche Auseinandersetzung und Argumentation im Einzelnen:
Teil 1: Hintergrund und allgemeine Anmerkungen. 3
Teil 2: Kritik an spezifischen Regelungen im Gesetzentwurf (GE) 5
Teil 3: Anforderungen an ein modernes, freiheitliches, grundrechtszentriertes Versammlungsfreiheitsgesetz. 10